Hungerpanorama

Wir Menschen müssen essen, um zu überleben. Wir halten drei Tage ohne Wasser durch und drei Wochen ohne Nahrung. Bleibt die Energiezufuhr ein paar Stunden aus, meldet das Gehirn bereits Hunger. Je länger wir hungern, desto angespannter fühlen wir uns. Hunger schmerzt. Wenn wir tagelang nicht essen, beherrscht uns der Hunger.

Das Wort «Hunger» verwirrt mit all seinen Schattierungen: Es meint den kleinen Hunger zwischen den Mahlzeiten ebenso wie den grässlichen, lebensbedrohenden Hunger. Hunger beschreibt den körperlichen Mangel an Nahrung, aber auch das Bedürfnis nach Essen. Der Begriff umfasst viele Empfindungen und Auswirkungen auf Körper und Geist.

Hungerpanorama © Paula Troxler

Kaugummi gegen Hunger?

Kauen löst im ersten Moment ein Sättigungsgefühl aus, denn der Körper hat gelernt, dass Kauen dem Essen vorausgeht. Doch mit Kaugummi lässt sich der Körper nicht austricksen: Folgen auf das Kauen keine Nährstoffe, meldet der Körper bald wieder Hunger. Unser Sättigungsgefühl hängt auch vom Tempo des Kauens ab. Je mehr wir kauen, desto weniger Essen brauchen wir. Zwar hat das Kauen keinen direkten Einfluss auf Sattheit, aber indem wir die Essensaufnahme verlangsamen, bekommen die verschiedenen Vorgänge genug Zeit, zu wirken. Wer schnell isst, führt dem Körper mehr Energie zu, bis Sättigungshormone und Magendehnung Sattheit melden.

Magenknurren

Bis ins 20. Jahrhundert galt der Magen als jenes Organ, wo sich der Hunger bemerkbar macht. Magenknurren bedeutete Hunger. Tatsächlich zieht sich der Magen in regelmässigen Abständen für 30 bis 40 Minuten zusammen – unabhängig von der Energieversorgung des Körpers. Wenn der Magen leer ist, nehmen wir diese Bewegungen als Grummeln oder Knurren war. Dann mischen sich Luft und Magenflüssigkeit und der Magen beginnt zu klingen. Ob wir bei knurrendem Magen essen oder nicht: Die Geräusche verschwinden von selbst wieder.

Durst

Schlimmer als Hunger ist vermutlich nur der Durst. Der Mensch kommt nur rund drei Tage ohne Flüssigkeit aus, denn unser Körper besteht zu zwei Dritteln aus Wasser. Alle Stoffwechselvorgänge in den Zellen brauchen Wasser, doch wir können im Körper praktisch kein Wasser speichern. Trinken stillt den Durst, aber nicht den Hunger. Viel Wasser dehnt den Magen kurzzeitig aus, doch es verlässt ihn schnell wieder. Die Magendehnung allein macht nicht satt. Dafür braucht es auch die Sättigungshormone im Dünndarm. Wasser aber regt die Sättigungshormone nicht an.

Hunger in all seinen Empfindungen

Wenn wir länger nichts gegessen haben, sinkt die Glucose im Blut. Das nimmt das Gehirn als Energiemangel wahr. Es meldet Hunger – und zwar bevor die Energie ganz aufgebraucht ist. Manchmal fällt es uns schwer, diese Körpersignale richtig zu deuten. Ein Energietief kann Gereiztheit, Wut, Unruhe oder Müdigkeit auslösen. Viele Menschen fühlen sich grundlos wütend oder traurig – tatsächlich haben sie Hunger.

Der Begriff «hangry» beinhaltet die emotionalen Anteile von Hunger: Er vereint «hungry» und «angry» (hungrig und wütend). Viele Menschen fühlen sich angespannt oder übellaunig, wenn sie hungrig sind. Aufgrund der Entwicklungsgeschichte war ein gewisser Grad an Angriffslust bei Hunger sinnvoll, weil sich dadurch Nahrung wirksamer beschaffen liess. Anders als Tiere können wir diesen ursprünglichen Drang des Stammhirns kontrollieren. Bei einigen klappt es besser als bei anderen.

Hungerast

Wer Ausdauersport treibt, kennt wohl den Hungerast: Plötzlich fällt die Leistung des Körpers ab. Die Reserven an Kohlenhydraten sind aufgebraucht und im Gehirn fehlt die Glucose. Jetzt beginnt der Körper, in Muskeln und Leber das Kohlenhydrat Glykogen abzubauen. Dabei entsteht Glucose, die die Muskeln verbrennen. Folgt keine Nahrung, macht der Körper Fett verfügbar. Die Muskeln verstoffwechseln Fettsäuren. Auch die Leber baut Fettsäuren ab und dabei entstehen Ketonkörper, die im Gehirn die Glucose teilweise ersetzen können. Aceton ist ein solcher Ketonkörper – wie dieser riecht, kennen wir vom Nagel- oder Autolack. Beim Fettabbau bildet sich auch Glyzerin, aus dem die Leber Glucose herstellen kann.

Kapitel Hungerpanorama © M. Stollenwerk